Asien,  Taiwan

Welcome to Taipeh oder: wir wollen ja bei der Wahrheit bleiben!

Reisen ist eine feine Sache. Eigene Grenzen sprengen, den Horizont erweitern, über den Tellerrand schauen und so weiter. Kommen Menschen von ihren Reisen zurück, klingen 90% der Erzählungen wie aus einem Lonely-Planet-Deluxe-Reiseführer. Da ist die Rede von weißen Stränden, wilden Abenteuern, eskalierenden Partynächten und den verrücktesten Erlebnissen. Nicht selten kommt es vor, dass die negativeren Erlebnisse (nett umschrieben auch die besonders lehrsamen Erfahrungen) perfekt umschrieben werden oder einfach komplett unter den Tisch fallen. Kreative Freiheit dem Geschichtenerzähler.
Da es momentan besonders cool ist gegen den Strom zu schwimmen und weil wir als Medienmacher und Journalistenpärchen praktisch dazu gezwungen sind, bei der ganzen Wahrheit zu bleiben UND weil verschönerte Erzählungen sowieso nicht so ganz unser Stil sind, fängt unsere Reisegeschichte aus Asien nicht besonders blumig an.

Nach etwa 12 Stunden Flug quer über den blauen Planeten, in denen wir (vor allem Rafi) mindestens 6 kleine Tütchen asiatische Studentenmischung gefuttert, 2 Filme geschaut und 387847545 Zombies getötet haben, kommen wir semi erholt-oder, da wir ja ehrlich sein wollten: unausgeschlafen und zerknittert- in Taipeh, unserem ersten Stopp der Reise an. Keine Ahnung ob es überhaupt Menschen gibt, die nach einem so langen Flug taufrisch aus dem Flugzeug springen und mit strahlendem Lächeln die neue Stadt erkunden können. Das Wetter sieht durch die großen, verglasten Fenster am Airport eher gedrückt aus, der Himmel ist grau bedeckt und alle Indizien, die unser deutsches Wettereinfühlungsvermögen so aufnehmen kann, deuten auf einen kühleren, verregneten Tag hin. Umso überraschender trifft uns die Wand aus unglaublicher Hitze, die uns entgegenschlägt, als wir um kurz nach 7 Uhr in der Früh aus dem Flughafen wollen. Rückzug!! Noch bevor wir uns darum kümmern können, wie wir überhaupt von hier zu unserer Airbnb Unterkunft in der Stadtmitte kommen können, heißt es: Kleidung wechseln. Ich frage mich, ob es sich bei dieser schwülen Hitze überhaupt lohnt, Kleidung anzuziehen. Sicher ist alles innerhalb von wenigen Sekunden komplett durchgeschwitzt.
Danach decken wir uns noch mit einem provisorischen Frühstück ein (Schokobrötchen und Wasser) und machen uns auf die Suche nach der richtigen Busstation. Das Schokobrötchen erweist sich übrigens ein paar Minuten später als getarntes Teigstück mit rosa Bonenpampe gefüllt, dass so gut schmeckt, wie weiche Bohnenpampe übermüdet um sieben Uhr in der früh eben schmecken kann. Kulinarischen Horizont erweitert: check. Erstes Nahrungsmittel auf die Liste an Dingen gesetzt, die man hier nicht unbedingt nochmal essen muss: doppelcheck.

Da englische Hinweisschilder anzubringen hier übrigens mindestens 5 mal so teuer sein muss wie das Anbringen von asiatischen Schriftzügen, anders ist der Mangel an Übersetzungshilfe einfach nicht zu erklären, fragen wir uns auf unserer Suche nach dem richtigen Bus mit Händen und Füßen durch die Halle.
Die meisten asiatischen Schriftzeichen lassen sich nicht durch kreatives Raten übersetzen. Was wie ein Baum aussieht könnte genauso gut Ufolandeplatz bedeuten, ein hundeähnliches Zeichen vielleicht Schwimmkurs für Schwangere. Im Normalfall plädiere ich beim reisen ja zum beliebten: just go with the flow. Irgendwie kommt man schon ans Ziel. In Taipeh hätten wir vermutlich am Airport übernachten können, wenn uns nicht eine nette Dame hinter einem Informationsdeck die richtigen Buskarten verkauft hätte.

Das der Busfahrer uns knapp zwei Stunden später an einem komplett falschen Punkt heraus lässt (Zitat: „yes, yes, go here!“ „Are your sure we are right sir?“ „yes yes!“) und wir über eine Stunde lang durch Nieselregen und drückende Vormittagshitze irren müssen, bis wir schließlich tatsächlich an unserer Unterkunft ankommen, lässt unser Vertrauen in das Verständnis zwischen deutscher Hand und Fußkommunikation und der Interpretationsfreiheit von taiwanesischen Mitmenschen wieder etwas schwinden. Glück für uns das wir nun erneut die Chance haben, unsere durch zahlreiche Aktivitieabende geschulten Pantomimekünste unter Beweis zu stellen. Denn nach unserem kleinen Umweg von ungefähr einer Stunde ist unser Airbnb-Host natürlich nicht mehr da, wir stehen also verschwitzt, extrem übermüdet und ausgelaugt im Regen vor einer verschlossenen Tür in einer Seitengasse von Taipeh und wissen nicht mehr weiter. Vor allem ich weiß nicht mehr weiter. Meine Füße wollen definitiv keinen Meter mehr laufen, ich bin komplett nass, mein Kopf pocht, das Nicht-wirklich-Schokobrötchen fühlt sich einsam in meinem Magen und oh gott bin ich müde!!! Ohne Rafi hätte ich mich vermutlich einfach verzweifelt auf die Straße gesetzt und losgeheult. Kulturschock und Jetlag sei Dank. Rafi allerdings – reise- und stresserprobt- sucht nach Hilfe, findet schließlich jemanden, der uns schon einmal die Tür zum Treppenhaus öffnet, klopft und klingelt, erklärt mit Hilfe allen möglichen erlernten walldorfschen Zeichenundtanztricks einer alten Dame, wohin wir wollen und warum, die wiederum reißt einen jungen Mann eine Etage unten drunter aus seiner Dusche, der unseren Host kennt, ihn anruft und… eine halbe Stunde später liegen wir tatsächlich frisch geduscht in einem gemütlichen Bett und lassen uns den Ventilatorenwind durch die Haare wehen.

Und jetzt kommt es. Nach all diesen mehr oder weniger großen Heldentaten, nach all den überwundenen Hindernissen machen wir ihn, den Fehler, der uns noch die nächsten Tage daran erinnert, warum der Jetlag so eine hundsgemeine Sache sein kann. Wir schlafen ein. Papa ich weiß, du hast gesagt, wir sollen auf jedenfall und unbedingt wach bleiben. Aber es war einfach unmöglich. Es ging nicht. Mission failed.

Ein paar Stunden später wachen wir schweiß gebadet auf. Der Ventilator scheint den Kampf gegen die Hitze verloren zu haben und dümpelt träge an der Decke herum. Jede Sauna wäre neidisch auf die Temperaturen, die in unserem Zimmer herrschen und ich frage mich, ob es möglich ist, sich eine portable Dusche für die nächsten Tage zu bauen. So eine kleine, kühle Regenwolke, die einen jede Stunde einmal sanft benieselt und abkühlt. Da an ein weiteres Einschlafen nicht mehr zu denken ist, flüchten wir aus dem Haus, getrieben von der Hoffnung, dass die langsam einkehrenden Abendstunden etwas Abkühlung mit sich bringen. Taipeh allerdings scheint es nicht so mit der Abkühlung zu haben. Die Hitzewand erwartet uns erneut gnadenlos und undurchdringbar und gegen das, was draußen an schwüler Luft über der Stadt hängt, wirkt unser Zimmer wie der Nordpol.
Die letzten Stunden Schlaf allerdings haben wenigstens wieder ein paar Lebensgeister in uns geweckt und wir machen uns auf, die Nachbarschaft etwas genauer zu erkunden.
Ein paar Straßen weiter allerdings endet die Häuserfront und macht Platz für einen riesigen Park, der jedem Dschungelbuch Konkurrenz machen könnte. Überall zirbt es, grüne Urwaldpflanzen wuchern durcheinander und wir können es kaum glauben, so etwas mitten in der Stadt zu finden.

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Wir verlieren uns in dem Gewirr aus kleinen Wegen und Schleichpfaden, folgen wenigaussagekräften Schildern und bewundern das Spiel aus Pflanzen und fremden Tönen. Treiben lassen, einfach nur gehen, schauen, beobachten. Das Gehirn ausschalten und genießen. Den Nieselregen und all das Neue. Es ist unser erstes, kleines Ankommen in einer völlig neuen und fremden Welt.

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